Bemerkungen zum Erdbeben von L'Aquila (Italien)

Bei dem Magnitude 6.2 Erdbeben (nach [1]) vom 6. April 2009 (01:32:42 UTC) handelt es sich – wenn man nur das Schadensmaß heranzieht – um das schwerste Erdbeben, das Italien seit 1980 erschüttert hat (Abb. 1). Auch für dieses Ereignis gilt, dass ingenieurmäßig ausgelegte Gebäude seismische Bodenbewegungen ohne Einsturz überstehen können und müssen. Das vielfache Versagen bedarf auch hier einer Klärung der Ursachen.

Die komplexe Ingenieuranalyse kann angesichts der derzeit primären Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben noch nicht vorliegen. Aus den vorliegenden Informationen und Fotos geschädigter und nahezu rissfreier Bauwerke ist zu schlussfolgern, dass erhebliche Mängel in der Qualität der Bauweisen und ihrer Ausführung einer Erklärung bedürfen.

 

Seismische Gefährdung

Ein wichtiger Gesichtspunkt folgt aus dem Grad der Kenntnis der Erdbebengefährdung und den damit verbundenen Maßnahmen zur Erhöhung der Erdbebensicherheit der Gebäude und Infrastruktur. Städte- bzw. regionalplanerische Entscheidungen müssen gewährleisten, dass der Abstand zwischen den Gebäuden groß genug ist, um im Falle eines Einsturzes ausreichend Räume und Durchfahrtmöglichkeiten für Einsatzkräfte und Räumtechnik zu besitzen. Dies wird im Katastrophengebiet als Problem für den Einsatz der Bergungstechnik zur Rettung Verschütteter genannt.

Es darf ebenso unterstellt werden, dass die Erdbebenzonenkarte für den Grad der baulichen Erdbebenvorkehrungen eine gewisse Orientierung bietet. Abb. 1 zeigt auf Grundlage der Weltkarte der Erdbebengefährdung [3], dass die betroffene Region eine anerkannt hohe Seismizität aufweist, wobei sich diese Einschätzungen (modellmäßig) vornehmlich aus den historischen bereits stattgefundenen Erdbeben ableiten und hier in der Regel eine Stationarität vorauszusetzen ist, d.h. die Vorgänge der Vergangenheit setzen sich auch in der Zukunft fort, wenn auch an leicht veränderten Orten.

Die Stärke liegt im oberen Bereich der genannten Magnituden (5.5 bis 6.2 nach Richter-Skala). Der Herd muss demzufolge auch tiefer als nur 5 km liegen; anders lassen sich die Schütterwirkungen in entfernteren Gebieten nicht erklären. Das betroffene Gebiet ist nach Abb. 1 quasi "dunkelrot markiert" und somit richtig bewertet, wobei aber die Situation in Südeuropa, um bei den Farben zu bleiben, deutliche Abstufungen der „Rottöne“ aufweist.
Die Gefährdung ist somit bekannt. Offenkundig gibt es aber eine Diskrepanz zwischen dieser Kenntnis und den baupraktischen Konsequenzen.

Lage anderer schwerer Erdbeben in Italien

Abb. 1 zeigt die Epizentrenlage der stärksten Erdbeben in Italien seit etwa 100 Jahren. Schwere Erdbeben treten nicht am gleichen Ort und auch nicht in bestimmten Zeitabständen auf. Vieles hängt von den aktiven Bereichen der Platten ab. Das Beben von Messina 1908 hat sich dieser Form in Messina nicht wiederholt, auch das Beben in Friaul 1976 ist in dieser Stärke nicht erneut aufgetreten, das gilt auch für die Region Umbria Marche (betroffen 1997).

Wenn sich die Beben so einfach wiederholen würden, wüssten Ingenieure auch mehr darüber, wie sich die nach dem Schadensbeben getroffenen Maßnahmen bewährt haben.

 

Vor- und Nachbeben

Das Gebiet ist durch eine Vielzahl von Nachbeben betroffen (Abb. 2). Auch aufgrund der schwächeren Vorbeben können die Schadensursachen nicht eindeutig zugeordnet werden können. Es wird auch im Nachgang der Gebäudeerhebungen  schwierig sein, die Schädigung ausschließlich auf das stärkste Ereignis zurückzuführen. Insofern besteht die Gefahr, die Stärke der Schütterwirkungen zu überschätzen.

Gemessene Bodenbewegungen

Angaben zu gemessenen Bodenbewegung in Nähe des Epizentrums bzw. in den betroffenen Gebieten fehlen (noch).

Das Beben war so stark, dass sich in den Registrierungen der (seismischen Station des Zentrums für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden (in den Kellerräumen der Fakultät Bauingenieurwesen) sehr deutlich die die seismischen Spuren vom natürlichen Umgebungsrauschen abheben (Abb. 3).

Die Station ist als ein Beitrag der Fakultät Bauingenieurwesen zum Bauhaus-Jahr 2009 in Betrieb gegangen (sieh auch Bemerkungen zum Chengdu-Erdbeben) und wird ab Oktober in der Parkhöhle der Stiftung Klassik Weimar aufgestellt.

Die gemessenen Bodenbewegungen vermitteln in ihrer Deutlichkeit einen Eindruck von der Stärke des Bebens; die großen Amplituden veranschaulichen, dass das Erdbeben den gesamten Globus erzittern ließ.

Ein Einsatz der Ingenieurgruppe der Deutschen Task Force Erdbeben wurde nicht angefordert. Im Einsatz sind Seismologen des GeoForschungsZentrums Potsdam, die als Doktoranden aus Italien einen besonderen Bezug zur Einsatzgebiet verfügen.

Verhalten der Bauweisen

Es gibt in der Region eine Vielzahl unterschiedlicher Bauweisen, die ein sehr unterschiedliches Erdbebenverhalten aufweisen.

Traditionelle Mauerwerksgebäude zeigen typische Schadensmuster und auch eine Mindest-Widerstandfähigkeit. Die auffälligen Schäden folgen aus dem Versagen von Mauerwerk aus Feldsteinbauten (ohne festen Verbund), Steinmauerwerk (zweischalig) ohne erkennbare Verdübelungselemente und unbewehrte Ziegel-Mauerwerksgebäude. Einfache und seit Jahrzehnten bekannte Vorkehrungen der Verbesserung der Erdbebensicherheit sind anhand der Schadensfotos nicht zu identifizieren.

Viele Gebäude sind jedoch stehen geblieben, weisen z.T. überhaupt keine äußere Schädigung auf. Diese Bauwerke können vor Ort als „Lehrmeister“ und Beispielobjekte dienen. Einige Fotos deuten auf bauliche Veränderungen (z.B. Einzug von Stahlträgern im Wohnbereich) und deuten auf das Fehlen einer qualifizierten Kontrolltätigkeit.

Der Vielfalt der Bauweisen ist gemein, dass die Erdbebenwiderstandsfähigkeit gering, d.h. die Verletzbarkeit (Vulnerabilität) aber hoch ist.
Regeln des erdbebengerechten Bauens können herangezogen werden, um im Einzelfall die Schäden zu begründen. Allgemeine Kriterien für die Bewertung sind:

  • die Art und Qualität der Verbindung zwischen den Wänden (z.B. Ringbalken),
  • die Art und Qualität der Verbindung zwischen senkrecht zueinander stehenden Wänden,
  • die Ausbildung der Decke und ihre Verbindung mit vertikalen Tragelementen.

Formen des „Confinements“ von Mauerwerken, d.h. seiner Verbesserung durch Einfassung mit Stahlbetonelementen sind zu suchen. Bei den Rahmenstrukturen liegen offenkundig Defizite im Aussteifungssystem und der Bewehrungsführung vor.

Die Interaktion zwischen Rahmen und Ausfachungen (in Mauerwerk) ist anhand der Schäden zu erkennen. Die Ausfachungen sind in der Regel schwach (weak), bei ihrem lokalen Versagen verändert sich die Tragqualität unkontrolliert, die Verformungen überschreiten in den „aufgeweichten“ Geschossen kritische Grenzwerte, so dass sich ein ungewollter und ungünstiger Versagensmechanismus einstellt.

Die Versagensformen zeigen das typische Verhalten für:

  • unbewehrtes Mauerwerk ohne Erdbebenauslegung; Schäden treten in den oberen Geschossen auf; je Höher die Geschosszahl desto größer der Grad der Schädigung,
  • Stahlbeton mit Schadenskonzentrationen im Basisgeschoss.

 

Untersuchungsbedarf

Es wird darauf ankommen, die Schäden an den Bauweisen zu dokumentieren und sich dabei auch auf die positiven Beispiele zu konzentrieren, die es auch im Katastrophengebiet in ausreichender Anzahl gibt. Die Kunst besteht in der Identifikation der typischen vorherrschenden Bauweisen und in der datengestützten Bewertung ihrer Verletzbarkeit. Hier gibt es Hilfsmittel, die weltweit zum Einsatz kommen, u.a. die European Macroseismic Scale EMS-98 [4], die auch die bei weltweiten Erdbebeneinsätzen gewonnenen Erfahrungen der Ingenieurgruppe vom Erdbebenzentrum in Weimar aufnimmt.

Zu klären sind weiterhin: der Zusammenhang zwischen der Stärke der Erdbebenbodenbewegung und dem Gebäudeschaden, der Einfluss von Untergrund und Topographie, die auch jetzt von Bedeutung gewesen sein sollten (vgl. Abb. 2) sowie die Installation von Messgeräten, um zumindest anhand der Nachbeben vor Ort die Qualität der Erdbeben besser zu verstehen.

 

Maßnahmen

Die schnellen Räumungsarbeiten sind notwendig, können jedoch auch die Schadensursachen verdecken. Zu erinnern ist an das Molise-Erdbeben 2002, bei dem eine angeblich verstärkte Schule in Steinmauerwerk einstürzte und über 20 Schüler für die schlechte Bauqualität mit ihrem Leben bezahlten. Eine Aufklärung der Ursachen ist bis dato nicht bekannt geworden. Anhängige Gerichtsverfahren erschweren hier eine Verallgemeinerung bautechnischer Fehlleistungen und die Verhinderung ihrer Wiederholung.

Eine Verstärkung erfordert ein umfängliches nur als nationale Aufgabe zu bewältigendes Maßnahmenprogramm. Es besteht die Gefahr, regional typische Bauweisen dann abzureißen (statt zu ertüchtigen) und gegen vermeintlich sichere Stahlbetongebäude auszutauschen. Verstärkungsmaßnahmen sind aber auch für die traditionellen Steinmauerwerksbauten in Italien bekannt und umfänglich publiziert (World Housing Encyclopedia [6]).

Literatur und Quellen

[1] GEOFON; GeoForschungsZentrum Potsdam (2009): Automatic GEOFON Global Seismic Monitor. http://geofon.gfz-potsdam.de/geofon//seismon/globmon.html (09.04.2009).

[2] INGV (2008): CATALOGO PARAMETRICO DEI TERREMOTI ITALIANI versione 2008 (CPTI08) 1901-2006. http://emidius.mi.ingv.it/CPTI08/.

[3] Giardini, G.; Grünthal, G.; Shedlock, K.; Zhang, P. (1999): The GSHAP Global Seismic Hazard Map. http://gmo.gfz-potsdam.de/.

[4] G. Grünthal (Ed.) Musson, R. M. W.; Schwarz, J.; Stucci, M. (1998): European macroseismic scale 1998. Centre Européen de Géodynamique et de Séismologie, Luxembourg 1998.

[5] Jarvis, A.; Reuter, H.; Nelson, A.; Guevara, E. (2006): Hole-filled seamless SRTM data V3. http://srtm.csi.cgiar.org. International Centre for Tropical Agriculture (CIAT) (Ed.).

[6] EERI; IAEE (2009): World Housing Encyclopedia. http://www.world-housing.net/ (09.04.2009).

Hinweis

Zur Darstellung der Karten wurde das GIS-Programm MapInfo Professional® eingesetzt.