ZUVERSICHT – Zustandsbewertung von erdverlegter systemrelevanter Infrastruktur zur proaktiven Charakterisierung von Schäden und Gewinnung von technisch realen Entscheidungshilfen

Fördermaßnahme:   GEO:N – Geoforschung für die Nachhaltigkeit

Förderbereich:          Früherkennung von Erdbeben und ihren Folgen

Projektlaufzeit:         01.02.2020 bis 31.01.2023

Partner:     IAB – Institut für Angewandte Bauforschung Weimar gemeinnützige GmbH (IAB - Verbundkoordinator)

                   Bauhaus-Universität Weimar, Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden (EDAC)

                   HafenCity Universität Hamburg, Professur Technisches Infrastukturmanagement (HCU)

                   Institut für Automation und Kommunikation e.V. Magdeburg (ifak)

Beschreibung

Das Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung einer Methodik zur Abschätzung von potentiellen Schäden im Erdbebenfall für bestehende kritische bodenverlegte Infrastruktur. Die Verletzbarkeit von ver- und entsorgungsrelevanten Leitungsnetzen und deren Gefährdungspotenziale werden systematisiert und hinsichtlich Schadenspotential und schadensmindernder Faktoren untersucht. Die Bauhaus-Universität Weimar bearbeitet das Teilthema „Gefährdungskonsistente Beanspruchungs- und Reaktionsszenarien für erdverlegte Infrastrukturnetze und -komponenten“. Gefährdung und Einwirkungskenngrößen erdverlegter Leitungen werden analysiert.

Auf der Grundlage aktueller Gefährdungsanalysen werden Szenarien für unterschiedliche Wiederkehrperioden entwickelt, den Beanspruchungsgrößen für die Zustandsbewertung der Infrastruktur zugrunde gelegt und Methoden zur Echtzeitaktualisierung von Intensitäten und Bodenbewegungen bereitgestellt. Für die Entwicklung eines generalisierten Ansatzes für die Verletzbarkeitsbewertung nach dem Grundkonzept der EMS-98 werden typische Netzstrukturen, Rohrmaterialien, Rohrkomponenten, Bodeneigenschaften und Rohr-Boden-Matrizen aufgearbeitet und hinsichtlich verletzbarkeitsrelevanter Eigenschaften strukturiert.

Die Überführung von Netzstrukturdaten und Erdbebenintensitäten in Schadenswahrscheinlichkeiten und Schadensarten wird über systematisch durchgeführte FEM-Simulationen von Rohr-Boden-Systemen für die Netze und deren Gefährdungsfaktoren realisiert.  

Die Ergebnisse der mehrmethodischen Bewertung und Methoden zur Ermittlung des Ist-Zustandes fließen in ein zu entwickelndes Simulations-Tool ein. Abb. 1 stellt die Skalierungs- und Methodeninterdisziplinarität dar.

In Detailsimulationen und Experimenten werden Untersuchungen zu Schadensvorgängen und Wirkmechanismen durchgeführt. Die daraus folgende Verletzbarkeitsbewertung ermöglicht die Analyse der Interaktions- und Schadenspotentiale, die in einem Simulationstool zur Gefährdungsbeurteilung und Entscheidungsunterstützung umgesetzt werden.

Mit dem im Projekt entwickelten Simulationswerkzeug sollen präventive Planungen von Maßnahmen zur Verringerung der Verletzlichkeit von erdgebundenen Versorgungssystemen ermöglicht werden. Das Simulationsmodell soll an virtuellen und realen Netzen hinsichtlich der Beschreibungsgenauigkeit und Datenintegration erprobt und qualifiziert werden. Hierfür werden Fallbeispiele in deutschen und südeuropäischen Erdbebengebieten gewählt. Dies ermöglicht, den Aufwand der Datenbereitstellung und -verarbeitung im spezifischen Anwendungsfall zu überprüfen, das Transferpotenzial auf andere Regionen bzw. im Weiteren auch die Anschlussfähigkeit zur Integration weiterer Georisiken und anderer Naturkatastrophen zu bewerten.

Im Rahmen des Projektes sind die vorhandenen methodischen Ansätze zur Abschätzung der seismischen Einwirkungen am Standort und zur Beschreibung der Verletzbarkeit aufzugreifen, weiterzuentwickeln, auf die Besonderheiten erdverlegter Rohrleitungen und die Gegeben­heiten der deutschen Erdbebengebiete zu übertragen bzw. anzupassen.

Versuche (IAB)

Am IAB Weimar gGmbH wurden die Versuche zur Kalibrierung der FEM-Simulationen durchgeführt. Dazu wurden in Abstimmung mit der HafenCity Universität die verschiedenen Varianten möglicher zu untersuchender Rohr-Boden-Systeme aufgestellt, die einer bleibenden Bodenverschiebung (PGD – Permanent Ground Displacement) unterzogen werden.

Zur Abbildung der realen Rohr-Boden-Systeme im Versuchsmaßstab wurden die erforderlichen Parameter wie Rohrgrabenbreite, Rohrgrabenlänge, Rohrüberdeckungshöhe, Verfüllbodenmaterial usw. skaliert. Es wurden am Markt verfügbare Rohrleitungen für die Abwasserentsorgung und die Trinkwasserversorgung untersucht.

Der Versuchsstand besteht aus einem Universalprüfrahmen, der am IAB zur Prüfung von großformatigen Betonelementen verwendet wird. Dieser wurde mit zwei Beton-U-Elementen erweitert um das Rohr-Boden-System darzustellen, wobei ein Element starr und das zweite horizontal beweglich auf Gleitschienen angeordnet wurde. Als Verfüllmaterial (Boden) wurde Sand 0/2 verwendet, welcher für alle Versuchsreihen in gleicher Lagenstärke sowie Verdichtungsarbeit eingebracht wurde. Es wurden je Rohrdimension vier Versuche durchgeführt, bei denen die orthogonal zur Scherebene ausgerichtete Rohrleitung der auferlegten Bodenverschiebung ausgesetzt wird. Die mittels Hydraulikzylinder erzeugte Verschiebung erfolgte mit einer Geschwindigkeit von 1 mm/s über eine Wegstrecke von 300 mm. Die entstehenden Längsdehnungen wurden mit Dehnungsmessstreifen aufgezeichnet, welche entlang der Rohrleitung appliziert wurden.

Abmessungen Universalprüfstand: Länge 6,00 m; Breite 3,00 m; Höhe 3,00 m

Zylinderkraft (Druck): 500 kN - Zylinderhub: 500 mm

Abmessungen Beton-U-Elemente (außen): Länge: 1,50 m; Breite: 1,60 m; Höhe: 1,70 m

Abmessungen Versuchskasten (außen): Länge: 3,00 m; Breite: 1,60 m; Höhe: 1,70 m

Simulationen (HCU)

An der HafenCity Universtität wurden im Forschungsbereich "Technisches Infrastrukturmanagement" mit dem Programmsystem ABAQUS Finite Elemente Simulationen durchgeführt. In den Untersuchungen wurde die Interaktion zwischen Rohrleitung und Boden unter Erdbebenlast untersucht. Ein Fokus wurde dabei auf PGD (Permanent Ground Deformation) gelegt. Dies sind Belastungsszenarien, die sich für das Rohrsystem dauerhaft nach einem Erdbeben einstellen.

Ein Fokus liegt auf der Untersuchung von Scherebenen, welche die Rohrleitung schneiden. Dabei wurden verschiedene Varianten von Rohr-Boden-Systemen betrachtet und ausgewertet. Zu sehen sind hier beispielhaft die Ergebnisse für ein Polyethylen-Rohr (PE) und ein Polypropylen-Rohr (PP). Das Basismodell für die numerischen Simulationen wurde anhand von Großversuchen in Maßstab 1:1, die durch den Projektpartner IAB durchgeführt wurden, kalibriert. Auf diese Weise konnte die Aussagekraft der Simulationen nachgewiesen werden und Extrapolationen mit dem Modell ermöglicht werden. Das Modell kann durch Paramtetervariation die Grenzzustände für verschiedene Bettungsbedingungen im Erdbebenfall ermitteln und kann auch für weitergehende Fragestellungen entsprechend weiter verwendet werden.

Simulationswerkzeuge (ifak)

Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden zwei unterschiedliche Anwendungsszenarien identifiziert, die jeweils spezifische Anforderungen an die entwickelte Software stellen:

Anwendungsszenario 1: Offline Planung und Netzanalysen zur Verbesserung der Resilienz: In diesem ersten Szenario steht die Offline-Planung im Vordergrund. Die Software soll es den Anwendern ermöglichen, im Vorfeld Erdbebenszenarien zu analysieren und Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz von erdverlegter Infrastruktur zu planen. Zu den Hauptanforderungen gehören eine benutzerfreundliche Oberfläche, die Software muss eine intuitive Benutzeroberfläche bieten, die es den Planern ermöglicht, geografische Daten und Infrastrukturdetails einzugeben. Es müssen Simulation von Abwassernetzen (Freispiegelabfluß) und Trinkwassernetzen (Drucknetze) unter Normalbedingungen und beim Auftreten von Schäden (Blockaden, Leckagen) möglich sein und die Software muss umfassende Analysefunktionen bieten, darunter die Berechnung der Auswirkung von Strukturschäden in Folge eines Erdbebens.

Anwendungsszenario 2: Online Überwachung während eines Erdbebens und Planung von Rehabilitierungsmaßnahmen:  In diesem Szenario liegt der Schwerpunkt auf der Online-Überwachung während eines tatsächlichen Erdbebens und der schnellen Planung von Rehabilitierungsmaßnahmen.

Im Vorhaben wurde das Simulationswerkzeig SIMBA# entsprechend erweitert, um alle Funktionen für das Szenario1 zu bieten. Die Nutzung für Szenario 2 wurde vorbereitet.

Literatur

EDAC

Kaufmann, Ch.; Schwarz, J. (2021): Zum Einfluss evolutionär entwickelter Bodenbewegungsmodelle auf Gefährdungs- und Risikoanalysen. 20. D-A-CH Tagung, Zürich, September 2021.

Schwarz, J.; Beinersdorf, S.; Golbs, Ch.; Hasan, P. L. (2021): Zeitabhängige SHAKEMaps für die Risikobewertung von Bestandsbebauung und Infrastruktur im Ereignisfall. 20. D-A-CH Tagung, Zürich, September 2021.

Beinersdorf, S., Kaufmann, C., Schwarz, J., Knapmeyer-Endrun, B. (2021): Rezente Erdbebentätigkeit in Deutschland: Bodenbewegungen und Schütterwirkungen. Bautechnik, 98, 11, 826–837.  

Schwarz, J., Maiwald, H., Kaufmann, Ch. (2021): Untergrundspezifische und einwirkungsabhängige Spektren in DIN EN 1998-1/NA-2021, Bautechnik 98, 11, 838-851.

Schwarz, J.; Beinersdorf, S.; Hasan, P. L.; Kaufmann, Ch.; Golbs, Ch. (2022): Application of shakemap procedures for induced seismic events: Case study of Groningen. Third European Conference on Earthquake Engineering and Seismology (04.09 bis 09.09.2022), Bukarest.

Schwarz, J.; Beinersdorf, S.; Kaufmann, Ch.; Langhammer, T.; Golbs, Ch.; Abrahamczyk, L.;Alex, J. (2023): Gefährdungskonsistente Risikoszenarien für erdverlegte Infrastrukturnetze und -komponenten. In: Wuttke F, Aji HDB, Özarmut A (eds) 18. D-A-CH-Tagung Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik, 14.-15. September 2023. Kiel, Deutschland, S. 43–52.

HCU

Banushi G., Wham B., (2020) "Deformation capacity of buried hybrid-segmented pipelines under longitudinal permanent ground deformation", Canadian Geotechnical Journal, doi.org/10.1139/cgj-2020-0049, September 2020, Editors choice award 2021.

Abschlussworkshop ZUVERSICHT

ABSCHLUSSWORKSHOP:

Zustandsbewertung von erdverlegter systemrelevanter Infrastruktur zur proaktiven Charakterisierung von Schäden und Gewinnung von technisch realen Entscheidungshilfen Projekt ZUVERSICHT

am 20.04.2023 in Weimar

ANMELDUNG (bis 12.04.2023 verlängert!)
www.iab-weimar.de/zuversicht2023

Flyer Abschlussworkshop ZUVERSICHT