Chengdu-Erdbeben vom 12. Mai 2008
Bei dem Magnitude 7.9 Erdbeben vom 12. Mai 2008 (06:28:01 UTC) in der Nähe von Chengdu (Provinz Sichuan) handelt es sich - wie in den Medien wiederholt erwähnt - um das schwerste Erdbeben, das China seit 1976 erschüttert hat (Abb. 1).
Der Einsturz eines ingenieurmäßig ausgelegten Gebäudes ist stets eine Katastrophe; das tausendfache Versagen bedarf einer Klärung der Ursachen. Die Ingenieuranalyse kann angesichts der derzeit primären Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben noch nicht vorliegen. Ein wichtiger Gesichtspunkt folgt aus dem Grad der Kenntnis der Erdbebengefährdung und den damit verbundenen Maßnahmen zur Erhöhung der Erdbebensicherheit der Gebäude und Infrastruktur. Städte- bzw. regionalplanerischen Entscheidungen müssen gewährleisten, dass der Abstand zwischen den Gebäuden groß genug ist, um im Falle eines Einsturzes ausreichend Räume und Durchfahrmöglichkeiten für Einsatzkräfte und Räumtechnik zu besitzen. Dies ist im Katastrophengebiet offensichtlich nicht der Fall.
Es darf ebenso unterstellt werden, dass die Erdbebenzonenkarte aus 1989 (Abb. 1) für den Grad der baulichen Erdbebenvorkehrungen eine gewisse Orientierung bietet. Es wird deutlich, dass Tagshan in der Tat der höchsten Zone zugeordnet ist, Chengdu jedoch hinsichtlich der Gefährdung stark unterschätzt wird. Nach Abb. 3 wäre die betroffene Region ähnlich einzuordnen wie die Erdbebengebiete in Ostthüringen. Hier liegt offensichtlich eine noch zu klärende Fehleinschätzung vor.
Besonders kritisch erscheint die Grenzziehung der Erdbebenzone, die sich auch in der aktuellen Weltkarte der Erdbebengefährdung (GSHAP, 1999) widerspiegelt (Abb. 4), da sie im östlichen Bereich eine Vielzahl von Großstädten als gering seismisch ausweist und somit ausklammert.
Ein Großteil des betroffenen Gebietes besitzt somit Bestandsgebäude ohne ausreichende Erdbebenvorkehrungen, da die Chinesische Baunorm für die Zonen nur geringe Einwirkungen vorschreibt
Die betroffene Region liegt im Rand- bzw. Übergangsbereich der Hochgebirge (Abb. 5); insofern ist die Gefährdung von Hangrutschungen groß.
Das Beben vom 12. Mai 2008 ist von einer Vielzahl sehr starker Nachbeben begleitet (Abb. 5), die für sich genommen bereits Bauwerksschäden verursachen können, und den Einsturz der bereits vorgeschädigten Gebäude erwarten lassen. Insofern sind auch die Rettungs- und Bergungsarbeiten mit hohen Risiken für die Hilfskräfte verbunden. Abb. 5 zeigt eine Sequenz der nach dem Hauptbeben lokalisierten Herde dieser Ereignisse, die sich ebenfalls in das vermeintlich geringseismische Gebiete in eine nordöstliche Richtung bewegen.
Abb. 5 zeigt aber auch, dass es vor dem schweren Beben bereits Ereignisse gegeben hat, dass Chengdu selbst nicht im Bereich der Epizentren liegt. Insofern ist nicht auszuschließen, dass es viele Regionen die weitaus stärker betroffen sind und das tatsächliche Katastrophenausmaß noch nicht erfasst werden konnte.
Messungen in Weimar
Das Beben war so stark, dass sich in den Registrierungen einer (derzeit im Aufbau befindlichen) seismischen Station des Zentrums für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden (in den Kellerräumen der Fakultät Bauingenieurwesen) sehr deutlich die die seismischen Spuren vom natürlichen Umgebungsrauschen abheben (Abb. 6).
Die Station soll als ein Beitrag der Fakultät Bauingenieurwesen zum Bauhausjahr 2009 in den ständigen Betrieb gehen; die gemessenen Bodenbewegungen werden dann an verschiedenen Orten (u.a. im Foyer der Hörsaalgebäudes) über Monitor in Real-Time-Darstellung visualisiert. Die großen Amplituden veranschaulichen, dass das Erdbeben den gesamten Globus erzittern ließ.
Ein Einsatz der Deutschen Task Force Erdbeben wurde nicht angefordert. Angeboten wurde Untersuchungen der Ursachen der schweren Bauwerksschäden im Rahmen des Masterstudienganges Natural Hazard Mitigation in Structural Engineering gemeinsam mit den chinesischen Studierenden an der Fakultät Bauingenieurwesen.
Eine solche Orientierung gab es bereits beim Kashmir Erdbeben Oktober 2005. Derzeit werden die unmittelbar nach dem Beben begonnen vor Ort durchgeführten Erhebungen in 2005 (Systematisierung der bauweisenspezifischen Schäden) und in 2007 (Kartierungsarbeiten, Wiederaufbaumaßnahmen) in Form einer Doktorarbeit eines DAAD-Stipendiaten (PhD Thesis) ausgewertet, der kurz vor dem Beben 2005 seinen Master im Bereich Natural Hazard Mitigation in Structural Engineering (als Absolvent des ersten Kurses) erlangen konnte.
Literatur und Quellen
[1] Behrmann, D.: China predicts a major earthquake and saves an entire population from disaster. The UNESCO Courier 29 (1976) , 11-13
[2] UNDRO NEWS (1983): Earthquake prediction. A science still its infancy. UNDRO NEWS Nov./Dec., 11-13
[3] Chinesische Norm: GBJ 11-89: 1989 (National Standard of People’s Republic of China Aseismic Buildong Design Code. Department of Construction
[4] GSHAP (1999): Global Seismic Hazard Map produced by the Global Seismic Hazard Assessment Program (GSHAP) a demonstration project of the UN/International Decade of Natural Disaster Reduction, conducted by the International Lithosphere Program. Global Map assembled by D. Giardini, G. Grünthal, K. Shedlock, and P. Zhang.
[5] U.S. Geological Survey: Earthquake Hazard Program. earthquake.usgs.gov/earthquakes/eventpage/usp000g650#executive
[6] Centro International de la papa: Administrative boundaries China. research.cip.cgiar.org/gis/modules.php?name=Downloads&d_op=viewdownloaddetails&lid=942&ttitle=China
[7] U.S. Geological Survey: Global 30 Arc-Second Elevation (GTOPO30). lta.cr.usgs.gov/GTOPO30
Tangshan-Erdbeben vom 28. Juli 1976
Das Tangshan-Erdbeben mit Herd im Osten von Beijing (Abb. 2) galt lange Zeit als Synonym für eine kaum an die Öffentlichkeit dringende Berichterstattung chinesischer Behörden. Es war auch für die Wissenschaftler damals eine Zäsur, nachdem kurz zuvor das Beben von Haicheng 1975 vorhergesagt wurde, und infolge der Früherkennung regionale Behörden benachrichtigt und somit auch Maßnahmen der Evakuierung eingeleitet werden konnten. (Nach Angaben der Behörden gab es beim Haicheng-Erdbeben 1975 keine Menschenleben zu beklagen.) Nach „Vorhersage“ eines Beben der Magnitude M=7.6 in Lungliu und vier weiterer Erdbeben bestand damals eine politisch durchaus gewollte Euphorie über die Beherrschbarkeit des Phänomens.
Beim Tangshan-Erdbeben versagten die vermeintlichen Vorhersage-Instrumentarien, es gab keine Vorankündigung bzw. Vorwarnung; angesichts der Dunkelziffer der Opfer gilt es als das folgenreichste Erdbeben weltweit. Es liefert wohl das maßgebliche Argument, Mittel für die lange Zeit auch in anderen Ländern sehr ernsthaft betriebene Forschung an der Erdbebenvorhersage sinnvoller einzusetzen.
Am 28. Juli 1976 (3:42 Ortszeit) mit Zentrum in der Millionenstadt Tangshan zog sich eine Verwerfung von 8 km Länge mit Horizontalversatz von ca. 1.5 m und vertikal von 0.8 m durch, verursacht durch ein Beben der Magnitude 7.8. Nach chinesischer Intensitätsskala lag die Intensität bei XI und unfassbaren Verlusten: 242.000 Tote, 164.000 Verletzte (davon 80.000 schwer); 90% der Wohnhäuser und 50% der Industriegebäude kollabieren.
Blockierte und zerstörte Eisenbahnlinien und Straßen behinderten – wie auch jetzt – das Eintreffen von Hilfskräften. Erhebliche Schäden wurden durch Bodenverflüssigung und nachfolgende Gebäudesetzungen oder -schiefstellungen verursacht. Erst am 6. August 1976 wurde in den chinesischen Medien berichtet. Nach dem Beben wurde ein Generalbebauungsplan umgesetzt, um die Entflechtung (Dekonzentration) der Wohngebiete zu erreichen (mit 250.000, 300.000 und 150.000 Einwohnern). Erdbebensichere 4-geschossige Wohnblocks wurden geplant. Die Maßnahmen nahmen trotz großer Anstrengungen mehr als 10 Jahre in Anspruch. Die Erfahrungen geben aufgrund der vergleichbaren Bebenstärke einen Eindruck von den Konsequenzen und dem Zeithorizont, den die Wiederherstellung in Anspruch nehmen kann.