Inhalt "Ingenieurseismologie und Erdbebeningenieurwesen"
Vorwort
Die Beiträge in diesem Doppelheft berichten über aktuelle oder jüngst abgeschlossene Forschungsarbeiten aus den letzen drei Jahren. Sie umfassen folgende vier Komplexe:
- Historische Erdbeben - Bebenszenarien
- Erdbebeneinwirkungen, Starkbeben- und Bodenunruhemessungen im Rahmen der Deutschen Task Force Erdbeben
- Verhalten seismisch beanspruchter Bauwerke
- Seismische Risikokartierung
Die Beiträge verbinden ingenieurseismologische Aspekte mit konkreten Anorderungen des Erdbebeningenieurwesens. Untersuchungen zu historischen Beben begründen konkrete Szenarien für die seismische Risikokartierung. Die Bereitstellung gefährdungskonsistenter Einwirkungen ermöglicht die Auswahl der Erdbebendaten nach den für den Standort charakteristischen Herdkenngrößen.
Dem Leser wird nicht entgehen, daß im Mittelpunkt vieler Beiträge die konkreten Schadensauswertungen nach Erdbeben bzw. die Ergebnisse wiederholter Einsätze mit den folgenden wissenschaftlichen Auswertungen bilden. Dies betrifft vornehmlich die messtechnisch gewonnenen Nachbebenregistrierungen in den Erdbebengebieten der Türkei oder die Untersuchungen zu den Standorteffekten im Zusammenhang mit den Erkundungsmissionen der Deutschen TaskForce Erdbeben 1997 in Venezuela sowie 1998 und 1999 in der Türkei. Zu nennen sind ebenso die statistische Auswertung von Beschleunigungsaufzeichnungen und ihre Verallgemeinerung in Form spektraler Abnahmebeziehungen, auf deren Grundlage Bemessungsgrößen für die Bauwerksberechnung abgeleitet wurden.
Eine statistische Analyse von Bauwerksschäden wurde für das Kocaeli-Bebens vom 16.August 1999 vorgenommen, mit dem Ergebnis einer Karte der beobachteten Schütterwirkungen.
In den Beiträgen zur Reinterpretation des Antwortverhaltens erdbebengeschädigter Stahlbetontragwerke geht es um die Fragen, inwieweit die Berechnungshilfsmittel und Modelle zur Prognostizierung realistischer Schadenserwartungen herangezogen werden können, wie sie insbesondere bei der seismischen Risikokartierung von Bedeutung sind. Die Überprüfung von zwei Programmsystemen erfolgt anhand der Ergebnisse eines seismisch instrumentierten Gebäudes. Die registrierten Bauwerksreaktionen implizieren - rein wissenschaftlich gesehen ein Glücksfall - die Chronik der Bauwerksschädigung, die durch geeignete Modellannahmen nachvollzogen werden kann.
Am Beispiel eines vorgeschädigten Bauwerks wird die Effizienz bereits eingeleiteter Ertüchtigungsmaßnahmen kritisch bewertet.
Einige Beiträge dieses Heftes bilden Bausteine für die seismische Risikokartierung. Diese setzt realistische Erdbebenszenarien über die lokale Bodenbewegung und die Bewertung des Bauwerksbestandes hinsichtlich seiner Verletzbarkeit unter Erdbebeneinwirkungen voraus. Im Heft werden Ergebnisse für das Untersuchungsgebiet Ostthüringen mittels Geographischer Informationssysteme (GIS) veranschaulicht. Sie repräsentieren die erste flächendeckende Risikokartierung für eine Stadt in deutschen Erdbebengebieten.
Die Starkbeben- und Bodenunruhemessungen im Rahmen der Deutschen Task Force Erdbeben zeichnen sich durch ihren konkreten Anwendungsbezug aus. Gleichzeitig wird hinterfragt, welche Erkenntnisse aus seismologischen Messmethoden durch die Art der messtechnischen Parameterauswertung für die Interpretation von Erdbebenschäden bzw. die Schadensprognose eines vorhandenen Baubestandes gezogen werden können. Insofern sind darauf abhebenden Beiträge auch Ausdruck der langjährigen Forschungskooperation zwischen der Bauhaus-Universität und dem GeoForschungsZentrum Potsdam, die über die Deutsche Task Force Erdbeben und das Deutsche Forschungsnetz Naturkatastrophen (DFNK) in den letzten Jahren intensiviert wurde.
Zu danken ist dem Institut für Strukturmechanik (ISM) für die Durchführung anspruchvoller Berechnungen mit dem Programm SLang. Dank gilt Herrn Dr. Macke für die Bereitstellung von Formatierungshilfen.
Der Beitrag zu den Flüssigkeitsbehältern setzt die langjährige Forschungstradition auf dem Gebiet seismisch beanspruchter Spezialbauwerke fort, die untrennbar mit dem Wirken und Namen von Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E.h. Erhard Hampe verbunden ist. Auch die Vorarbeiten zur seismischen Risikokartierung haben durch ihn wesentliche Anregungen und Unterstützung erfahren. Die 1995 vorgelegte Konzeption für ein Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden als Ausdruck der aktuellen nationalen und (im Zusammenhang mit Formierung der Deutschen TaskForce Erdbeben) auch internationaler Anforderungen, wurde unter seiner Federführung erarbeitet. Auf dieser Grundlage und in konsequenter Umsetzung des Anspruches, das Erdbebeningenieurwesen in Lehre und Forschung am Institut für Konstruktiven Ingenieurbau der Bauhaus-Universität zu verankern, und ihm einen kompetenten Ansprechpartner für Wirtschaft und Behörden zu entwickeln, konnten in den letzten Jahren mit der Etablierung des Erdbebenzentrum die personellen und materiellen Voraussetzungen für die Durchführung der in diesem Heft präsentierten Forschungsarbeiten geschaffen werden. Es ist dem Unterzeichneten ein Bedürfnis, mit diesem Heft an das persönliche Engagement und die stete Motivation von Herrn Prof. Erhard Hampe in großer Dankbarkeit zu erinnern.
Jochen Schwarz
Inhalt
Historische Erdbeben - Bebenszenarien
Fischer, J. Grünthal, G., Schwarz, J.
Das Erdbeben vom 07. Februar 1839 in der Gegend von Unterriexingen. 8--30
Grünthal, G., Schwarz, J.
Reinterpretation der Parameter des Mitteldeutschen Bebens von 1872 und Ableitung von Erdbebenszenarien für die Region Ostthüringen. 32--48.
Erdbebeneinwirkungen – TaskForce-Einsätze – Bebenmessungen
Schwarz, J., Golbs, Ch., Grünthal, G.
Gefährdungskonsistente Einwirkungen für deutsche Erdbebengebiete – Konsequenzen für die Normenentwicklung. 50--69.
Habenberger, J., Lang, D.H., Schwarz, J.
Antwortspektren auf der Grundlage der Starkbebenmessungen im Erdbebengebiet der Türkei. 70--78.
Schwarz, J., Habenberger, J., Schott, C.
Auswertung von Strong-Motion-Daten in den für deutsche Erdbebengebiete maßgebenden Magnituden- und Entfernungsbereichen: Fallstudie für felsige Untergrundbedingungen. 80--91.
Raschke, M., Brunner, M., Schwarz, J.
Strong-Motion-Registrierungen während der Schwarmbebenserie im Vogtland (September bis November 2001). 92--99.
Lang, D.H., Schwarz, J.
Herausarbeitung lokaler Standorteffekte auf der Grundlage von Nachbebenregistrierungen und Aufzeichnungen der Bodenunruhe. 100--116.
Verhalten seismisch beanspruchter Bauwerke
Schott, C., Schwarz, J.
Reinterpretation des Antwortverhaltens seismisch instrumentierter Stahlbetontragwerke. 118--128.
Swain, Th., Schwarz, J., Ebert, M.:
Simulation des Antwortverhaltens seismisch beanspruchter Stahlbetontragwerke am Beispiel des Imperial County S. Buildings. 130--143.
Schwarz, J., Schott, C., Swain, Th.
Simulationen zur Effizienz der Ertüchtigungsmaßnahmen an einem erdbebengeschädigten Bürogebäude. 144--156.
Habenberger, J., Schwarz, J., Trabert, J.
Zur Berechnung von flüssigkeitsgefüllten Tankbauwerken unter seismischen Einwirkungen. 158--168.
Seismische Risikokartierung
Schwarz, J., Raschke, M., Maiwald, H.
Methodische Grundlagen der seismischen Risikokartierung am Beispiel der Stadt Schmölln/ Ostthüringen (1): Erfassung und Bewertung des Bauwerksbestandes. 180--199.
Schwarz, J., Raschke, M., Maiwald, H.
Methodische Grundlagen der seismischen Risikokartierung am Beispiel der Stadt Schmölln/ Ostthüringen (2): Modellereignisse, lokale Verstärkungseffekte und Schadensszenarien. 200--217.