Innovative Vulnerabilitäts- und Risikobewertung urbaner Räume gegenüber Überflutungsereignissen - INNOVARU
Förderkennzeichen: 13N14929 bis 13N14931
Projektlaufzeit: 02/2019 – 04/2021
Partner: Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LFLUG - Verbundkoordinator)
Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, Baukonstruktion/Bauwerkserhaltung (HTWD)
Bauhaus Universität Weimar: Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden (EDAC)
Teilvorhaben EDAC
Projektleitung: Dr.-Ing. Jochen Schwarz
Bearbeiter: Dr.-Ing. Holger Maiwald, Dipl.-Ing Christian Kaufmann, Dipl.-Ing. Tobias Langhammer
Motivation
Hochwasser können sehr nachteilige Folgen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und die wirtschaftlichen Tätigkeiten des Menschen haben (§ 73 WHG). Hochwasserschäden an Wohn- und Nichtwohngebäuden sind zum einen von der Einwirkungsintensität (Wasserstand, Fließgeschwindigkeit), zum anderen von ihrer gefahrenspezifischen Verletzbarkeit abhängig. Neben den bei einer Hochwassereinwirkung immer auftretenden Durchfeuchtungsschäden zeigen insbesondere Starkregenereignisse [1], aber auch das Hochwasser 2002 in Sachsen [2], dass durch die extremen Einwirkungen bei derartigen Ereignissen auch schwere strukturelle Schäden bis hin zum Einsturz der Gebäude möglich sind, welche eine erhebliche Gefährdung von Menschenleben nach sich ziehen. Diese strukturellen Schäden beeinflussen zudem sehr stark die damit verbundenen finanziellen Aufwendungen zur Beseitigung der Schäden, was in bisher offiziell angewendeten Schadensmodellen (hier insbesondere in den flächennutzungsbasierten Ansätzen) nicht bzw. nur unzureichend berücksichtigt wird.
Strukturelle Schäden wurden in der Vergangenheit meist in Bezug auf ein Totalversagen des Bauwerks in Abhängigkeit von der Fließgeschwindigkeit in Verbindung mit der Überflutungshöhe untersucht [3], [4], [5] bzw. es wurden zusätzlich Kriterien für ein partielles Versagen festgelegt [6]. Eine verfeinerte Differenzierung zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Schadensbilder von strukturellen Schäden, die Überführung in konkrete Verluste sowie die Berücksichtigung der Streuung in den Schäden bei vergleichbarer Einwirkung fehlen in diesen Studien.
Zielstellung und Inhalt
Zielstellung des Teilprojektes ist es, ein anwendungsreifes Modell zur Prognose struktureller Schäden durch Hochwassereinwirkung auf mikroskaliger Ebene (Einzelgebäude) bereitzustellen, das als Grundlage für die Überführung in detaillierte synthetische Verlustaussagen dient.
Dabei sind bisher noch nicht berücksichtigte verletzbarkeits- und schadensbestimmende Parameter sowie die Streuung der strukturellen Schäden bei vergleichbaren Einwirkungsbedingungen zu untersuchen. Grundlage hierfür bildet die am Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden (EDAC) vorhandene Hochwasserschadensdatenbank mit mehr als 5000 detailliert dokumentierten Schadensfällen vom Hochwasser 2002.
Wesentliche Ergebnisse
Die neuentwickelte Methode zur Prognose struktureller Schäden wurde in sechs sächsischen Untersuchungsgebieten angewendet.
Für die Bauwerkserhebungen in den Untersuchungsgebieten kam das das am EDAC entwickelte „EQUIP“-Bauwerkserhebungstool [7] in einer weiterentwickelten Version zum Einsatz, das eine überaus effiziente Datenerhebung der relevanten Bauwerksparameter ermöglichte. Eine Weiterentwicklung des EQUIP-Tools zur Schadensaufnahme bei konkreten Hochwasserereignissen wurden von den Projektpartnern diskutiert. Dazu wäre das Bauwerkserhebungs-Tool auf die Anforderungen einer Schadensdokumentation für die verschiedenen Nutzungsarten zu erweitern.
Es wurde eine erweiterte Methode zur Prognose struktureller Schäden in Form von Schadengraden (vgl. [8]) für ein bestimmtes Hochwasserszenario entwickelt (Abb. 1). Die weiterentwickelte Methode berücksichtigt differenzierte Korrelationen zwischen Überflutungshöhe, moderaten bis hohen Fließgeschwindigkeiten und strukturellen Schäden in Abhängigkeit von der Verletzbarkeit der verschiedenen Bauweisen und der Anzahl der Stockwerke des Gebäudes.
Die Datengrundlage bildeten hierbei der nach dem Hochwasser 2002 erhobene qualifizierte umfangreiche Schadensdatensatz in der EDAC-Hochwasserschadensdatenbank und die Daten der Schadensfälle infolge des Tsunamis nach dem Tohoku-Erdbeben in Japan 2011 [9]. Mit diesem innovativen Ansatz konnte das Fehlen von zuverlässigen Schadensdaten infolge hoher Fließgeschwindigkeiten, wie sie u.a. bei Sturzflutereignissen auftreten, kompensiert werden.
Die neuentwickelte Methode zur Prognose struktureller Schäden wurde in sechs sächsischen Untersuchungsgebieten validiert [10], [11]. Die strukturellen Schäden wurden in einem ersten Schritt mit den Schadensfunktionen des ursprünglichen EDAC-Hochwasserschadensmodells [12] in Verlustaussagen überführt und für das Hochwasser 2002 erfolgreich an den gemeldeten Schäden und Verlusten gespiegelt.
Das Konzept der Schadensgrade und Verletzbarkeitsklassen wurde vom Projektpartner HTWD übernommen und synthetische Schadensfunktionen für die bestehende Gebäudetypologie abgeleitet, welche aufbauend auf den Prognosemöglichkeiten für die strukturellen Schäden, differenzierte Verlustaussagen in Abhängigkeit von Fließgeschwindigkeit, Wasserstand und der konkreten Bauwerksverletzbarkeit ermöglichen.
Die im Ergebnis des Vorhabens vorliegenden Modelle ermöglichen eine qualifizierte und kosteneffiziente Planung und Bewertung von Maßnahmen des Hochwasserrisikomanagements.
Durch die Prognose von Schadensgraden kann eine für das Katastrophenmanagement interessante Kenngröße bereitgestellt werden, die für vorgegebene Szenarien die Identifikation von Gebieten mit zu erwartenden Schadenskonzentrationen ermöglicht. So können an die Ergebnisse des Teilvorhabens auch neue Erkenntnisse zur Verbesserung von Rettungsmaßnahmen bzw. der Schadensbewältigung während und nach Katastrophen anknüpfen.
Aktualität des gewählten Ansatzes
Die Richtigkeit des in INNOVARU gewählten Ansatzes wird durch die Ereignisse des Hochwassers 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bestätigt:
Extreme Überflutungshöhen bis > 5m (Abb. 2a) gekoppelt mit hohen Fließgeschwindigkeiten führten insbesondere im Ahrtal zu extremen strukturellen Schäden (Abb. 2b) bis zu komplett weggespülten Gebäuden, denen ein Schadensgrad D6 zu zuordnen ist (Abb. 2c). Zum anderen ließen sich zahlreiche Schäden identifizieren, die durch den bisher nicht berücksichtigten Anprall von Treibgut (Abb. 2d), die Unterspülung von Fundamenten (Abb. 2e) und durch Austritt großer Mengen Heizöl verursacht wurden. Es traten zudem zahlreiche schwere Schadensfälle an historischen Fachwerkbauten auf (Abb. 2f), welche sich eine erhöhte Bauwerksverletzbarkeit aufweisen.
Die ersten Schadensauswertungen zum Hochwasser 2021 wurden im Projekt 3D-Lageinformationen von durch Starkregen und Hochwasser betroffenen Gebieten [13], [14] durchgeführt.
Literatur
[1] Maiwald, H., Schwarz, J. (2016) Die Sturzflut von Braunsbach - Ingenieuranalyse der Gebäudeschäden. Bautechnik 93:925-932. doi.org/10.1002/bate.201600087
[2] Schwarz, J., Maiwald, H. (2007) Prognose der Bauwerksschädigung unter Hochwassereinwirkung. Bautechnik 84:450–464. doi.org/10.1002/bate.200710039
[3] Black, R. D. (1975): Flood Proofing Rural Residences, Washington D.C. Report no EDA 77-088, US Department of Commerce, Economic Development Administration.
[4] Sangrey, D.A., Murphy, P.J., Nieber, J.L. (1975): Evaluating the impact of structurally interrupted flood plain flows, Cornell University. Prepared for: Office of Water Research and Technology. Distributed by: NTIS. PB-247 552.
[5] Smith, D. I. (1991): Extreme floods and dam failure inundation implications for loss assessment. Proceedings of a Seminar "Natural and Technological Hazards: Implications for the Insurance Industry", 1991. pp. 149-165.
[6] Claußen, L., Clark, P.B. (1990): The development of criteria for predicting dambreak flood damages using modelling historical dam failures, International conference on river flood hydraulics Wallingford: John Wiley Sons Ltd.
[7] Schwarz, J., Maiwald, H., Kaufmann, C., Langhammer, T., Beinersdorf, S. (2018): Konzeptionelle Grundlagen und Tools zur Bewertung der Multi Hazard Verletzbarkeit von Bestandsbauten. Bautechnik 95 (2018) 09. 639-652. doi.org/10.1002/bate.201800010
[8] Maiwald, H., Schwarz, J. (2018): Vereinheitlichte Schadensbeschreibung und Risikobewertung von Bauwerken unter extremen Naturgefahren. Bautechnik 95 (2018) 10, 743-755. doi.org/10.1002/bate.201800009
[9] Ministry of Land, Infrastructure and transportation (MLIT): Survey of tsunami damage condition: www.mlit.go.jp/toshi/toshi-hukkou-arkaibu.html, (28.01.2016)
[10] Maiwald, H., Kaufmann, C., Langhammer, T., Schwarz, J. (2021): A new model for consideration of flow velocity in flood damage and loss prognosis, FLOODrisk 2020 - 4th European Conference on Flood Risk Management, Paper 11_9. doi.org/10.3311/FloodRisk2020.11.9
[11] Maiwald, H., Schwarz, J., Kaufmann, C., Langhammer, T., Golz, S., Wehner, T. (2022): Innovative Vulnerability and Risk Assessment of Urban Areas against Flood Events: Prognosis of Structural Damage with a New Approach Considering Flow Velocity. Water 14, 2793. doi.org/10.3390/w14182793
[12] Maiwald, H., Schwarz, J. (2023): Ermittlung von Hochwasserschäden unter Berücksichtigung der Bauwerksverletzbarkeit, Erweitertes EDAC-Hochwasserschadensmodell, scientific technical reports 01-22, Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden, Bauhaus-Universitätsverlag, ISBN: 978-3-95773-305-4, link
[13] Maiwald, H., Schwarz, J., Kaufmann, Ch., Abrahamczyk, L. (2022): Das Hochwasser 2021 - Ingenieuranalyse der Bauwerksschäden. Bautechnik 99. 12. 878-890. doi.org/10.1002/bate.202200062
[14] Schwarz, J., Maiwald, H., Abrahamczyk, L., Morgenthal, G., Hallermann, N. (2023):Methoden für digitale 3D-Lagebilder: Erfahrungen aus dem Hochwasser 2021, Bautechnik, 100, doi.org/10.1002/bate.202300003