Bemerkungen zum Erdbeben von Conceptión (Chile)
Am 27. Februar 2010 (08:34 Uhr MEZ) erschütterte eines der weltweit stärksten registrierten Erdbeben mit einer Magnitude 8.8 die Regionen Zentral-Chiles. Das Epizentrum befand sich nahe der Küste und löste gleichzeitig einen Tsunami aus, der zusätzlich erhebliche Schäden verursachte und diverse Menschenleben in den Küstenstädten der Region forderte.
Das Land Chile liegt in einer der aktivsten Erdbebenregionen der Welt und wird regelmäßig von Erdbeben erschüttert. Die Nasca Platte schiebt sich mehrere Zentimeter pro Jahr unter die Südamerikanische Platte.
Erdbeben einer Stärke von Magnitude 6, 7 und größer sind daher keine Seltenheit. Dennoch handelt es sich bei diesem Erdbeben um das schwerste Erdbeben seit ca. 50 Jahren in der Nähe der Stadt Conceptión. (Abb. 1)
Aufgrund der Stärke des Erdbebens ist ein weiträumiges Gebiet betroffen. Selbst in der ca. 340 km entfernten Hauptstadt Santiago sind Schäden zu verzeichnen. Die Infrastruktur des Landes, speziell im Umkreis des Epizentralgebietes ist zum Teil stark geschädigt. Viele Brücken sind dem Erdbeben zum Opfer gefallen. Bei den eingestürzten Wohngebäuden handelt es sich in den ländlicheren Regionen vornehmlich um Lehm- und Mauerwerksbauten, aber auch mehrgeschossige Stahlbetonbauten, welche voraussichtlich normgerecht ausgelegt wurden. Somit gilt auch für dieses Ereignis, dass ingenieurmäßig ausgelegte Gebäude seismische Bodenbewegungen ohne Einsturz überstehen können und müssen. Das vielfache Versagen bedarf auch hier einer Klärung der Ursachen.
Die komplexe Ingenieuranalyse kann angesichts der derzeit primären Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben noch nicht vorliegen. Aus den vorliegenden Informationen und Fotos geschädigter und nahezu rissfreier Bauwerke ist zu schlussfolgern, dass verschiedene Ursachen für die Schädigungen vorliegen und einer Erklärung bedürfen. Auch ist zu klären in wie weit Standorteffekte in den aktuellen Normen bereits berücksichtigt sind.
Seismische Gefährdung und historische Bebentätigkeit
Ein wichtiger Gesichtspunkt folgt aus dem Grad der Kenntnis der Erdbebengefährdung und den damit verbundenen Maßnahmen zur Erhöhung der Erdbebensicherheit der Gebäude und Infrastruktur. Bauliche Maßnahmen sollten einen der Gefährdung adäquaten Schutz der Bevölkerung vor einstürzenden Gebäuden (Forderung nach Standsicherheit), vor herabstürzenden Bauwerksteilen (Frage der Verkehrssicherheit), gewährleisten.
Abb. 1 zeigt auf Grundlage der Weltkarte der Erdbebengefährdung (GSHAP, 1999) [1], dass die betroffene Region eine hohe Seismizität aufweist; sie wird durch Epizentren der stärksten Erdbeben (Magnitude ≥ 6) in der Region seit 1973 bis heute [2] überlagert.
Abb. 2 übernimmt die in der historischen Vergangenheit bekannt gewordenen bzw. überlieferten Schadensbeben (nach NEIC, 2010) [3].
Nachbebentätigkeit
Das Gebiet ist durch eine Vielzahl von Nachbeben betroffen (Abb. 3).
Den durch das Hauptbeben ohnehin labilen Konstruktionen droht somit bei schwächeren Ereignissen der Kollaps. Die Bergungsarbeiten sind in höchstem Maße gefährlich und erfordern geeignete Räumtechnik.
Verhalten der Bauweisen
Es gibt in der Region eine Vielzahl unterschiedlicher Bauweisen, die ein sehr unterschiedliches Erdbebenverhalten aufweisen. Aufgrund der Erfahrungen mit Erdbeben werden in den meisten Bauweisen Regeln des Erdbebengerechten Bauens eingehalten, was auch die hohe Anzahl unbeschädigter bis leichtgeschädigter Bauwerke verdeutlicht. Für ingenieurmäßig ausgelegte Gebäude stehen Normen zur Verfügung und Mauerwerksbauten werden vornehmlich bewehrt oder durch Vorort erstellte Stahlbetonelemente („Confinements“) eingefasst (EERI, 2006) [6]. Die Bauweisen in den ländlicheren Regionen kennzeichnen sich durch einfaches Mauerwerk und Holz, die infolge des schweren Erdbebens und des anschließendem Tsunamis schwer geschädigt oder total zerstört wurden.
Auffällig sind die Schädigungen an den mehrgeschossigen Stahlbetongebäuden wie z.B. das in den Medien häufig gezeigte 14-stöckige Gebäude sowie den ingenieurmäßig ausgelegten Bauwerken. Dies lässt auf eine langperiodische Einwirkung mit großer Amplitude schließen, welche außerhalb der Plateauwerte der Bemessungsspektren liegen. Hier sei zu erwähnen, dass dieser Aspekt der langperiodischen Anregung für die verschiedenen Zonen bereits in der aktuellen Norm berücksichtig ist. Daraus folgt, dass speziell die lokalen Standorteffekte zu untersuchen sein werden um für zukünftige Ereignisse Vorkehrungen treffen zu können. Aber auch die Auslegungsphilosophien sind kritisch zu hinterfragen, um die Schädigungen an den erdbebengerecht ausgelegten Gebäuden beurteilen zu können.
Fragen zur Durchsetzung erdbebengerechter Bauweisen und Kontrolle der Bauausführung speziell in den ländlicheren Regionen können erst nach weiteren Untersuchungen und Informationen beurteilt werden.
Weiterhin sehr auffällig sind die z.T. verherrenden Schäden an Sakralbauten und mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte alten Mauerwerksbauten, welche bereits diverse zum Teil sehr starke Erdbeben miterlebt haben. Über den Grad der Schädigung in früheren Erdbeben kann hier nur gemutmaßt werden, aber es verdeutlich auch die Stärke des Erdbebens vom 27.02.2010.
Gemessene Bodenbewegungen
Folgt man den ersten Angaben zur aufgetretenen Bodenbeschleunigung [7], so sind Beschleunigungen von bis zu 0.24g in einer Entfernung von 340 km (in der Hauptstadt Santiago de Chile) aufgetreten. Dies wäre im Rahmen des Normspektrums abgedeckt, welchem eine Grundbeschleunigung von 0.30g in der zugehörigen Zone zugrunde liegt. Die o.a. Vermutungen zu möglichen Ursachen bestätigend, ist in den dazu gehörigen Spektren eine deutlich stärkere Beschleunigung, als von den Normspektren abgedeckt, in den höheren Periodenbereichen zu verzeichnen.
Aufzeichnungen der Bodenbeschleunigungen aus unmittelbarer Nähe zum Epizentrum liegen derzeitig noch nicht vor, lassen aber deutlich höhere Beschleunigungen erwarten.
[Das Beben war so stark, dass sich in den Registrierungen der seismischen Station des Zentrums für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden (in den Kellerräumen der Fakultät Bauingenieurwesen) sehr deutlich die seismischen Spuren vom natürlichen Umgebungsrauschen abheben (Abb. 4). Auch die Nachbeben lassen sich im Eintreffen der Erdbebenwellen eindeutig identifizieren (Abb. 5).]
Untersuchungsbedarf
Für die entfernteren geschädigten Regionen wie z.B. die Hauptstadt Santiago de Chile wird es darauf ankommen, die Schäden an den Bauweisen zu dokumentieren und Ursachenforschung für deren Verhalten zu betreiben. Mögliche lokale oder globale Standorteffekte sind zu identifizieren und deren Einflüsse auf andere ähnliche Gebiete zu übertragen. Ebenso sind Mängel in der Bauweise und/oder Bauausführung zu ermitteln und zu prüfen inwieweit diese auch an anderen bisher nicht geschädigten Gebäuden auftreten und zukünftig für Schäden verantwortlich sein könnten.
In den stark betroffenen Regionen im Epizentralgebiet sind die typisch vorherrschenden Bauweisen zu identifizieren und in der datengestützten Bewertung die Verletzbarkeit zu bestimmen. Hier gibt es Hilfsmittel, die weltweit zum Einsatz kommen, u.a. die European Macroseismic Scale EMS-98 [8], die auch die bei weltweiten Erdbebeneinsätzen gewonnenen Erfahrungen der Ingenieurgruppe vom Erdbebenzentrum in Weimar aufnimmt.
Aber auch der zusätzliche Einfluss des aufgetretenen Tsunamis auf die Schäden ist zu untersuchen. Speziell die Zuordnung der Schäden, der Einfluss der Wellenhöhe sind hier von Interesse.
Zu klären sind weiterhin: der Zusammenhang zwischen der Stärke der Erdbebenbodenbewegung und dem Gebäudeschaden, der Einfluss von Untergrund und Topographie, die auch jetzt von Bedeutung gewesen sein sollten (vgl. Abb. 2) sowie die Installation von Messgeräten, um zumindest anhand der Nachbeben vor Ort die Qualität der Erdbeben besser zu verstehen.
Ein Vergleich der Schäden und deren Ausmaße mit früheren Ereignissen, wie z.B. das Antofagasta Erdbeben vom 30.07.1995, und die daraus gewonnenen Erfahrungen sollte im Rahmen der Untersuchungen herangezogen werden.
Maßnahmen
Die schnellen Räumungsarbeiten sind notwendig, können jedoch auch die Schadensursachen verdecken. Zu erinnern ist an das Molise-Erdbeben 2002, bei dem eine angeblich verstärkte Schule in Steinmauerwerk einstürzte und über 20 Schüler für die schlechte Bauqualität mit ihrem Leben bezahlten. Eine Aufklärung der Ursachen ist bis dato nicht bekannt geworden. Anhängige Gerichtsverfahren erschweren hier eine Verallgemeinerung bautechnischer Fehlleistungen und die Verhinderung ihrer Wiederholung.
Eine Verstärkung erfordert ein umfängliches nur als nationale Aufgabe zu bewältigendes Maßnahmenprogramm. Es besteht die Gefahr, regional typische Bauweisen dann abzureißen (statt zu ertüchtigen) und gegen vermeintlich sichere Stahlbetongebäude auszutauschen. Verstärkungsmaßnahmen sind aber auch für die traditionellen Bauweisen bekannt und umfänglich publiziert (World Housing Encyclopedia [6]).
Master Course “Natural Hazard Mitigation in Structural Engineering”
Masterstudenten aus Ländern, welche in der Vergangenheit bereits von schädigenden Erdbeben betroffen waren, werden derzeit an der Baushaus-Universität Weimar (mit Unterstützung durch den DAAD) im Master Course „Natural Hazard Mitigation in Structural Engineering“ ausgebildet. Derzeit bearbeitet eine Studentin im Rahmen ihrer Masterarbeit vor Ort das Beben von 1986 in San Salvador, das bei geringer Stärke (Magnitude 5.6) erheblich Schäden verursachte. – Die Fakultät Bauingenieurwesen hat zu Jahresbeginn das seit sechs Jahren laufende Kursprogramm in den Rang eines Studienganges erhoben und eine Schärfung der Ausbildungsschwerpunkte in Richtung der Befähigung der Studierenden u.a. zur Wahrnehmung konkreter Maßnahmen im Ereignisfall und auf unterschiedlichen Handlungsebenen vorgenommen.
Literatur und Quellen
[1] Giardini, G.; Grünthal, G.; Shedlock, K.; Zhang, P. (1999): The GSHAP Global Seismic Hazard Map. [online] gmo.gfz-potsdam.de/.
[2] [3] U.S. Geological Survey: Earthquake Hazard Program. earthquake.usgs.gov/earthquakes/search/.
[4] Jarvis, A.; Reuter, H. I.; Nelson, A.; Guevara, E. (2006): Hole-filled seamless SRTM data V3. hrsg. v. International Centre for Tropical Agriculture (CIAT) (Ed.). [online] srtm.csi.cgiar.org.
[5] GEOFON; GeoForschungsZentrum Potsdam (2010): Automatic GEOFON Global Seismic Monitor. [online] geofon.gfz-potsdam.de/geofon//seismon/globmon.html.
[6] EERI; IAEE (2009): World Housing Encyclopedia. [online] www.world-housing.net/.
[7] Red nacional de acelerógrafos (RENADIC) (2010): Informe Preliminar 1 Terremoto Centro Sur de Chile 27 de Febrero 2010. Departamento de Ingeniería Civil - Universidad de Chile: Santiago, 9 S. (1. März 2010). [online] www.renadic.cl/ (Letzter Zugriff 2010-03-03).
[8] Grünthal, G.; Musson, R. M. W.; Schwarz, J.; Stucci, M. (1998): European macroseismic scale 1998. hrsg. v. Grünthal (Ed.), Bd. 15, Luxembourg. [online] www.gfz-potsdam.de/sektion/erdbebengefaehrdung-und-dynamische-risiken/daten-produkte-dienste/ems-98-europaeische-makroseismische-skala.
[9] Schwarz, J.; Schmidt, H. (1997): Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden: Lehren aus aktuellen Ereignissen. In: Bautechnik, Bd. 74 (1997) Nr. 12, S. 826-846.
[10] USGS (2009): Global GIS Databases - Datasets. [online] webgis.wr.usgs.gov/globalgis/datasets.htm (Letzter Zugriff 2010-03-04).