Risikoanalyse und Erdbebenszenarien

Schadenspotentiale infolge Erdbeben

Für die Erdbebengebiete der Bundesrepublik Deutschland stehen keine Erfahrungswerte zur Verletzbarkeit des gegenwärtigen Bauwerksbestandes zur Verfügung; es fehlt zugleich der Maßstab, um Ergebnisse seismischer Risikoabschätzungen bzw. Schadensszenarien kalibrieren zu können. Demzufolge war das im Rahmen des Deutschen Forschungsnetzes Naturkatastrophen (DFNK) bearbeitete Vorhaben als ein Kernstück der Wirkungskette Erdbeben aufzufassen, mit dem einerseits der Zusammenhang zwischen den Erdbebeneinwirkungen, der vorhandenen Bausubstanz und den Folgen hergestellt und andererseits konkrete Risikoaussagen durch die Verkettung bzw. Vernetzung des Informationsflusses bereitgestellt werden. Im Vorhaben B3.1 Zu erwartende Erdbebenszenarien für deutsche Großstadträume und Quantifizierung der Schadenspotenziale auf der Grundlage der EMS-98 werden folgende Zielstellungen verfolgt:

  • Umsetzung der durch probabilistische Gefährdungsanalysen ermittelten Standortintensitäten als Basisereignisse detaillierter Risikoanalysen

  • Ausarbeitung von Methoden zur Abschätzung von Schadenspotentialen und zur Prognose von Bauwerksschäden

  • Beispielhafte Analyse und Bewertung der Bausubstanz in deutschen Großstadträumen am Maßstab der European Macroseismic Scale EMS-98

  • Quanitifizierung der Schadenspotenziale auf der Grundlage unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen und unter Variation der in die Bebenszenarien eingeführten Parameter

  • Bewertung der Erdbebentauglichkeit der in den Zielgebieten vorherrschenden Bauweisen

  • Identifikation von Einzelobjekten mit Relevanz im Katastrophenfall bzw. für die Aufrechterhaltung der (überlebenswichtigen) Versorgungslinien (life-lines).

Die Forschungsarbeiten zur Quantifizierung realistischer Schadenspotentiale verdeutlichen, dass die Erfassung des Bauwerksbestandes weiterhin mit erheblichen Aufwendungen verbunden sein wird. Diese Einschätzung ist u.a. wie folgt zu begründen:

  • Der Gebäudebestand liegt nicht in den für die Abschätzung der Verletzbarkeit erforderlichen Kenngrößen bzw. Parametern vor.

  • Die im Katastrophenfall „überlebenswichtigen“ Life-lines-Bauwerke, Anlagen und Einrichtungen mit Bedeutung für die Katastrophenbewältigung (Krankenhäuser, Feuerwehrgebäude usw.) sind bisher nicht systematisch überprüft worden.

Mit den durch das Erdbebenzentrum vorgelegten Ergebnissen zur seismischen Risikoabschätzung in Ostthüringen (Testgebiet Schmölln) und in der Niederrheinischen Bucht (Testgebiet Köln) besteht erstmals für deutsche Erdbebengebiete die Möglichkeit, eine vergleichende Analyse der Verletzbarkeit und Schadenserwartung vorzulegen. Wie durch die Studien unter Beschränkung auf die zu erwartenden Bauwerksschäden und möglichen Konsequenzen für die Bevölkerung begründet werden kann, wäre die öffentliche Aufmerksamkeit stärker als bisher auf den Bestand allgemeiner Hochbauten und auf die für die traditionellen Bauweisen kritischen Einwirkungsbedingungen auszurichten. Aufgrund der erhöhten Verletzbarkeit der Bausubstanz und teilweise auch aufgrund der standortbedingt höheren Erdbebenwirkungen können Kleinstadtgebiete im Ereignisfall lokal besonders betroffen sein. Diese Einschätzung deckt sich auch mit den in der Vergangenheit beobachteten Erdbebenschäden (u.a. Albstadt-Erdbeben 1978, Roermond 1992). Der Handlungsbedarf wäre somit nicht nur auf die (groß)städtischen Zentren zu konzentrieren.

Fallstudien

Eine zentrale Aufgabe seismischer Risikostudien besteht in der Aufnahme und Bewertung der Bausubstanz. Aufgrund der Notwendigkeit, Grundlagen zu entwickeln und bausteinartig (modular) zusammenzufügen, werden beispielhafte Anwendungen (im Sinne von Fallstudien) vorgelegt bzw. die Methodik in einem beschränkten lokalen Umfeld getestet.

Unterschiede zwischen Fallstudien (Testgebieten) bestehen in der Größe des betroffenen Gebietes (und natürlich auch der betroffenen Bevölkerung) sowie in der Anzahl der Gebäude, verbunden mit grundsätzlich unterschiedlichen methodischen Anforderungen an die Aufnahme und Bewertung der Bausubstanz. Bezogen auf den Maßstab der Bearbeitung können sie in mikro-, meso- und makroskalige Untersuchungen eingeteilt:

Literatur

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