Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 2021

 

Niederschläge

Das Tiefdruckgebiet „Bernd“ verursachte vom 12.07. – 19.07.2021 verschiedene Starkregenereignisse in Deutschland. Die meteorologische Situation während dieser Zeit kann dabei den Ausführungen in [2] entnommen werden, die nachfolgend zusammengefasst wiedergegeben werden:

Insbesondere durch die Niederschläge im Zeitraum vom 12.07. - 15.07.2021 waren lokal die mittleren Landesteile, großflächig der Westen von Rheinland-Pfalz und der Süden von Nordrhein-Westfalen von den Starkniederschlägen betroffen.

In der Folge kam es an mittleren und größeren Flüssen wie Ahr, Emscher, Erft, Kyll, Lippe, Prüm, Ruhr, Rur, Sieg und Wupper zu einer ausgedehnten Hochwassersituation, die sich z.T. katastrophal entwickelte. Die Überschwemmungen verursachten extreme Sachschäden und kosteten 184 Menschen das Leben.

Das Tief „Bernd“ wurde in den folgenden Tagen vom Hoch „Dana“ nach Südosteuropa abgedrängt, wobei es noch einmal zu anhaltenden Starkniederschlägen im Osterzgebirge, in der Lausitz und im Berchtesgadener Land kam.

Die großflächigen Niederschläge erreichten teilweise extreme Werte. So wurden an einer Wetterstation am 13.07. in Hagen mehr als 241 l/m² in 22 Stunden gemessen. Für die Dauerregenfälle am 14. und 15.07.  wurden im Gebiet von Dortmund über Köln, Euskirchen, Gerolstein, Bitburg bis hin nach Trier mehr als 100 l/m² Niederschlag in 72 Stunden registriert, wobei lokale Spitzenwerte von 150 l/m² in 24 h zu verzeichnen waren.

Der anhaltende Starkregen betraf große Teile der Flusseinzugsgebiete, wo das Wasser sich sammelte und in den engen Flusstälern kanalisiert wurde.

 

Abflüsse

In Rheinland-Pfalz wurde besonders das Ahrtal von dieser Situation betroffen. Belastbare Messungen der Scheitelabflüsse liegen vom Hochwasser 2021 an der Ahr nur eingeschränkt vor. So wurden beim Pegel Ahrweiler am 14.07.2021 um 19:45 Uhr 555 m³/s gemessen, bevor der Pegel ausfiel. In den ersten Auswertungen in [1] wurden für den Pegel Altenahr 400 – 700 m³/s geschätzt. In [4] wird angemerkt, dass die resultierenden Abflussmengen Werte wie beim Hochwasser 1804 erreichten (vgl. Tab. 1). Durch die heutige vorhandene Bebauung in den Ortslagen, die heutigen Brückenbauwerke die beim Hochwasser verklausten, übertrafen die Wasserstände des aktuellen Hochwassers die des Hochwassers von 1804 deutlich. Einer erste Abschätzung der Jährlichkeit des Ereignisses in [4] ergab, dass das Ereignis im Bereich eines HQ500 einzuordnen ist.
 

Tab. 1 Rekonstruierte Scheitelabflüsse historischer Ahr-Hochwasser für vier Standorte nach [6] und Schätzungen für 2021 nach [4] in [m³/s]

Hochwasser

Altenahr

Dernau

Walporzheim

Bad Neuenahr

15.07.2021

1000 ± 200

1000 - 1200

1200 - 1300

-

21.06.1804

-

1208

1180

-

24.06.1888

280

-

-

-

13.06.1910

496

549

541

585

16.01.1918

236

-

-

-

11.01.1920

170

-

-

-

 

In Nordrhein-Westfalen wurden an fast allen Pegeln der Erft und ihrer Nebengewässer die für ein Extremhochwasser (HQextrem) ermittelten Wasserstände überschritten. Für die stark vom Hochwasser betroffene Stadt Bad Münstereifel werden in [3] ca. 150 m³/s bilanziert, die aus dem Einzugsgebiet des Hochwasserrückhaltebeckens Eicherscheid und dem Zwischeneinzugsgebiet zugeflossen sind. Der Zufluss zum HRB von max. 130 m³/s übertraf dabei das Bemessungshochwasser von 43 m³/s somit um das Dreifache. Es wird angemerkt, dass bei einem 10.000-jährlichen Ereignis im HRB Eicherscheid ein Freibord von 1 m besitzt. Am 14./15.07.2021 betrug das minimale Freibord 40 cm.

Schadensdokumentation in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen

In der Zeit vom 19.07. bis 05.08.2021 wurde von den Mitarbeitern des Erdbebenzentrums eine Schadensaufnahme im Ahrtal in Rheinland-Pfalz sowie in Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen durchgeführt (Abb. 1). Ein detaillierter Überblick über die Schadensaufnahme, die Auswertungen und deren Ergebnisse sowie die ersten Schlussfolgerungen sind in [8] ausführlich dargelegt.

Zielstellung war dabei die Dokumentation der Schäden an der allgemeinen Bebauung und der Bauwerksparameter des betroffenen Bauwerksbestandes.

Die mehr als  1.400 untersuchten Schadensfälle wurden mit einer an die Schadenserhebung angepassten Version des am EDAC entwickelten „EQUIP“-Bauwerkserhebungstools [9] dokumentiert. Den Schadensfällen wurden dabei entsprechend des EDAC-Hochwasserschadensmodells [5] die Schadensgrade als Maß für die strukturelle Schädigung zugewiesen.

Beginnend in der Gemeinde Schuld im Ahrtal wurden die Schäden flussabwärts bis Mayschoß dokumentiert. Dabei war insbesondere in den ersten Tagen die Zugänglichkeit zu den Orten durch blockierte Straßen stark eingeschränkt und wurde erst im Laufe der Zeit wieder möglich.

Vollständige Schadensaufnahmen liegen von den Orten Schuld, Altenburg, Altenahr und Mayschoß im Ahrtal vor. Nachträgliche Schadenserhebungen der Orte Reimerzhoven, Laach und Marienthal komplettieren die Schadensdokumentation.

Eine weitere vollständige Schadensdokumentation liegt für die historische Altstadt von Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen vor, welche wegen ihrer historischen Fachwerkbausubstanz in die Schadensdokumentation aufgenommen wurde.

Die wichtigsten Schlussfolgerungen aus den detailierten Auswertungen der Schadensaufnahme in [8] werden nachfolgend aufgeführt:

  • Extreme Überflutungshöhen bis > 5m (Abb. 2a) gekoppelt mit hohen Fließgeschwindigkeiten führten insbesondere im Ahrtal zu extremen strukturellen Schäden (Abb. 2b) bis zu komplett weggespülten Gebäuden, denen ein Schadensgrad D6 zu zuordnen ist (Abb. 2c). Im Unterschied zum Hochwasser 2002 traten derartige Überflutungshöhen nicht nur punktuell auf, sondern betrafen Ortschaften wie Altenburg nahezu flächendeckend.
  • Zum anderen ließen sich zahlreiche Schäden identifizieren, die durch den Anprall von Treibgut (Abb. 2d) und die Unterspülung von Fundamenten (Abb. 2e) verursacht wurden.
  • Speziell im Ahrtal wurden zahlreiche Gebäude mit Flüssiggas oder Erdöl beheizt. Zahlreiche Gebäude wurden durch den Austritt großer Mengen Heizöl kontaminiert.

Es traten zudem zahlreiche schwere Schadensfälle an historischen Fachwerkbauten auf (Abb. 2f - h), welche sich eine erhöhte Bauwerksverletzbarkeit aufweisen.

Insbesondere die Problematik der extremen Überflutungshöhen und Fließgeschwindigkeiten, wie sie für Flash flood Ereignisse charakteristisch sind, und die hohe Verletzbarkeit der betroffenen Fachwerkbauten im Ahrtal und in Bad Münstereifel bestätigen wissenschaftlichen Bestrebungen im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt INNOVARU [7]. Die anderen genannten Schlussfolgerungen, wären in weitergehenden Untersuchungen zu vertiefen.

Neben den schweren Schäden an den allgemeinen Hochbauten wurden auch Schäden an der Infrastruktur dokumentiert. Als Beispiele sind hier die im Ahrtal zerstörten Brücken (Abb. 3a bis c) und Gleise der Ahrtalbahn (Abb. 3d), zerstörte Straßen in den betroffenen Orten (Abb. 3e) sowie die freigelegte und zerstörte unterirdische Infrastruktur wie Ver- und Entsorgungsleitungen (Abb. 3f) zu nennen.

Insbesondere die großen Mengen an Treibgut führten dabei zu Verklausungen an Brücken, die eine zusätzliche Erhöhung der Wasserstände verursachten.

Weitere Begehungen

Die extremen Überflutungshöhen, die hohen Fließgeschwindigkeiten verursachten an zahlreichen Gebäuden derart schwere strukturelle Schäden, dass die Gebäude im Zuge der Sicherungsmaßnahmen abgebrochen werden mussten. Diese im Zuge der Gefahrenabwehr notwendigen Abbruchmaßnahmen wurden Oktober 2021 im Rahmen einer Zweitbegehung im Ahrtal dokumentiert. In diesem Rahmen wurde zudem noch die betroffene Bauwerkssubstanz des Ortes Marienthal an der Ahr dokumentiert.

Aus den Erkenntnissen der Hochwasser 2002 und 2013, die in das EDAC-Hochwasserschadensmodell eingeflossen sind lässt sich ableiten, dass die extremen Überflutungshöhen des aktuellen Ereignisses in Verbindung mit den Ölkontaminationen zu einem wirtschaftlichen Totalschaden der Gebäude geführt haben. Es war daher anzunehmen, dass noch zahlreiche Gebäude abgebrochen werden müssen. Eine weitere Begehung im März 2022 bestätigte dies [8].

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Das Hochwasser 2021 hat schwere Schäden in den betroffenen Gebieten hinterlassen. Insbesondere im Ahrtal erreichten die Wasserstände und Fließgeschwindigkeiten sehr hohe Werte, die extreme Zerstörungen an den allgemeinen Hochbauten und der Infrastruktur verursachten.

Die dabei beobachteten hohen Schadensgrade bis D6 bestätigen die Modellansätze des EDAC-Hochwasserschadensmodell, welches zuletzt im BMBF geförderten Verbundprojekt INNOVARU weiterentwickelt wurde [7].

Mit der Schadensdokumentation entlang der Ahr und in Bad Münstereifel ließen sich seit dem Hochwasser 2002 vom EDAC gewonnenen Erkenntnisse über das Verhalten der verschiedenen Bauweisen der allgemeinen Bebauung unter dem Einfluss einer extremen Hochwassereinwirkung vertiefen und plausibilisieren. Die mehr als. 1.400 neu gewonnenen Schadensdaten werden die EDAC-Hochwasserschadensdatenbank erweitern und die Lücke von Schadensdaten mit sehr hohen Fließgeschwindigkeiten und Wasserständen schließen.

Insbesondere die zahlreichen Schadensfälle an Fachwerkbauten erweitern die Kenntnisse über die Verletzbarkeit und das Schädigungsverhalten dieser Bauweise beträchtlich.

Weiterführende Untersuchungen dazu wurden im Projekt 3D-Lageinformationen von durch Starkregen und Hochwasser betroffenen Gebieten durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Schadensskala zur Beschreibung der strukturellen Schäden einer Erweiterung bedarf. Diese Erweiterung für Fachwerkbauten wurde in [8] vorgestellt und ist im Ergebnis in die 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe des EDAC-Hochwasserschadensmodells [5] integriert worden.

Schadensdatenerhebung

Das Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden an der Bauhaus-Universität Weimar führt aus Anlass des Hochwasserereignisses eine wissenschaftliche Studie zum Verhalten und der Schädigung von Gebäuden unter Hochwassereinwirkungen durch.

Vorgesehen ist die Entwicklung und Überprüfung eines Verfahrens, mit dem Gebäudeschäden bei künftigen Hochwasserereignissen zuverlässiger abgeschätzt werden können. Insbesondere die Veränderungen in der Schadensanfälligkeit durch die Wiederherstellungsmaßnahmen nach einem Hochwasserereignis sollen dabei genauer untersucht werden. Ziel ist es, durch hochwassergerechte Bauweise und Maßnahmen für die vorhandene Bebauung den Grad der Betroffenheit und die materiellen Verluste zu senken sowie verbesserte Hochwasserschutzmaßnahmen zu begründen.

Es besteht die Möglichkeit an der Befragung online teilzunehmen. Alternativ steht der Fragbogen auch als PDF download zur Verügung und kann ausgefüllt per Post versendet werden.

Literatur

[1] CEDIM Forensic Disaster Analysis Group (2013): Hochwasser Mitteleuropa, Juli 2021 (Deutschland) 21. Juli 2021 – Bericht Nr. 1 „Nordrhein-Westfalen & Rheinland. https://www.cedim.kit.edu/download/FDA_HochwasserJuli2021_Bericht1.pdf, (28.01.2022)

[2] Deutscher Wetterdienst (2021): Hydro-klimatologische Einordnung der Stark- und Dauerniederschläge in Teilen Deutschlands im Zusammenhang mit dem Tiefdruckgebiet „Bernd“ vom 12. bis 19. Juli 2021. https://www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/niederschlag/20210721_bericht_starkniederschlaege_tief_bernd.pdf, (28.01.2022)

[3] Erftverband Erftverband (2021): Hochwasser an der Erft und ihren Nebengewässern 14. bis 16.07.2021, Erste Auswertung des Niederschlags- und Abflussgeschehens,
https://www.erftverband.de/wp-content/uploads/2021/08/20210820_ev_auswertung_hw_20210714.pdf, (31.01.2022)

[4] Kreienkamp et al. (2021): Rapid attribution of heavy rainfall events leading to the severe flooding in Western Europe during July 2021,
https://www.worldweatherattribution.org/wp-content/uploads/Scientific-report-Western-Europe-floods-2021-attribution.pdf, (31.01.2022)

[5] Maiwald, H., Schwarz, J. (2023): Ermittlung von Hochwasserschäden unter Berücksichtigung der Bauwerksverletzbarkeit, Erweitertes EDAC-Hochwasserschadensmodell, scientific technical reports 01-22, Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden, Bauhaus-Universitätsverlag, ISBN: 978-3-95773-305-4, https://asw-verlage.de/katalog/ermittlung_von_hochwasserschaede-2536.html

[6] Roggenkamp, T., Herget, J. (2015): Historische Hochwasser der Ahr. Die Rekonstruktion von Scheitelabflüssen ausgewählter Ahr-Hochwasser. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2015, S. 150 ff. https://relaunch.kreis-ahrweiler.de/kvar/VT/hjb2015/hjb2015.47.pdf, (15.02.2022)

[7] Maiwald, H., Kaufmann, C., Langhammer, T., Schwarz, J. (2021): A new model for consideration of flow velocity in flood damage and loss prognosis, FLOODrisk 2020 - 4th European Conference on Flood Risk Management, Paper 11_9. https://doi.org/10.3311/FloodRisk2020.11.9

[8] Maiwald, H., Schwarz, J., Abrahmaczyk, L., Kaufmann, Ch. (2022): Das Hochwasser 2021 - Ingenieuranalyse der Bauwerksschäden. Bautechnik 99. 12. 878-890. https://doi.org/10.1002/bate.202200062. Download (7.1 MB)

[9] Schwarz, J., Maiwald, H., Kaufmann, C., Langhammer, T., Beinersdorf, S. (2018): Konzeptionelle Grundlagen und Tools zur Bewertung der Multi Hazard Verletzbarkeit von Bestandsbauten. Bautechnik 95. 09. 639-652. https://doi.org/10.1002/bate.201800010

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