Tornado Bützow 2015

Am Abend des 05. Mai  2015 (zwischen 18:45 und 18:50 Uhr) zog ein Tornado über die ca. 7.600 Einwohner [1] zählende Kleinstadt Bützow im Landkreis Rostock in Mecklenburg-Vorpommern. Es handelte sich dabei um einen so genannten "Multivortex-Tornado", welcher aus mehreren Teilwirbeln bestand [9].
Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes [6] lag Deutschland zur betreffenden Zeit im Einflussbereich des Tiefdruckgebietes ZORAN über den britischen Inseln. Das Tief führte dabei warme Luft aus Nordafrika und dem Mittelmeerraum nach Deutschland. Dabei stiegen die Temperaturen 20 °C bis 27 °C. Um die Mittagszeit zogen dann von den Niederlanden her Gewitter mit Sturmböen und Hagel über den Westen Norddeutschlands. Im weiteren Tagesverlauf verlagerten diese sich dann ostwärts. Aus ihnen entwickelten sich in Mecklenburg-Vorpommern mehrere Tornados, wobei der Tornado in Bützow der stärkste war.
Bei dem Tornado wurden 30 Menschen verletzt und es traten Schäden in zweistelliger Millionenhöhe auf [9]. Dabei wurde fast jedes Haus in der historischen Altstadt von Bützow geschädigt. Die Schäden reichten dabei von einzelnen abgelösten Dachziegeln, bis zur vollständigen Zerstörung der Dachstühle und dem Einstürzen tragender Wände. Der Tornado wird nach [9] aufgrund der vorgefundenen Schäden mit einer Stärke von F3 auf der Fujita-Skala [5] bzw. T6 auf der TORRO-Skala [3], [8] eingestuft.

Mitarbeiter des Erdbebenzentrums dokumentierten im Zeitraum vom 07.05. - 09.05.2015 den größten Teil der Bauwerksschäden in Bützow, so dass damit eine nahezu vollständige Schadensdokumentation vorliegt. Die Ergebnisse der Schadensaufnahme und die Schlussfolgerung daraus wurden ausführlich in [7] dargelegt und werden hier nochmals kurz wiedergegeben.

Es ließ sich feststellen, dass der Wirbel des Tornados bei Rühn vor dem Rühner See im Südwesten der Stadt Bützow aufsetzte und dann über die historische Altstadt hinweg zog (Abb. 1).  Der Tornado zog von Bützow vorbei an Oettelin weiter bis nach Kassow [9], wo die letzten sichtbaren Gebäudeschäden von den Mitarbeitern des Erdbebenzentrums dokumentiert wurden. Von dort ließ sich die Spur des Tornados gemäß den Angaben in [10] dann weiter über die Ortschaft Rukieten bis nach Hohen Sprenz verfolgen.

Im Ergebnis der Schadensaufnahmen konnten die meisten geschädigten Gebäude in Bützow identifiziert und dokumentiert werden. Einige Schäden an von öffentlichem Gebiet aus nicht einsehbaren Gebäuden konnten im Nachgang durch das veröffentlichte Video einer Drohnenbefliegung [2] ergänzt werden. Somit wurden die Schäden an 358 Bauwerken erfasst [7].
Abb. 2 zeigt das betroffene Gebiet der Ortslage Bützow. Auf eine adressgenaue Hervorhebung der einzelnen Schäden ist aus Datenschutzgründen zu verzichten. Alternativ werden die Gebiete, in denen die Schadensfälle zu verzeichnen waren, rot gekennzeichnet, wobei aber nicht alle Gebäude in den gekennzeichneten Flächen geschädigt wurden.

Abb. 3 -  Abb. 22 zeigen dabei exemplarisch die vorgefundenen Schadensbilder. Diese lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen (vgl. [7]):

  • Die am häufigsten vorgefunden Schadensbilder waren Schäden an der Dachhaut. Dabei reichte die Spanne vom Herunterfallen einzelner Ziegel (Abb. 3) über das großflächige Ablösen (Abb. 4) bis zum kompletten Verlust der Dacheindeckung. Letzteres genau zu beurteilen war durch die schnellen Sicherungsmaßnahmen nicht immer eindeutig möglich. Es zeigte sich, dass neuere vernagelte Dacheindeckungen den angreifenden Kräften besser standhielten, wenn auch geschädigte Eigentümer vereinzelt davon berichteten, dass an ihren Häusern die Vernagelungen bzw. die Verschraubungen der Dachziegel aus der Dachlattung gezogen wurden.
  • Durch herumfliegenden Trümmerteile entstanden zahlreiche Schäden an Fenstern (Abb. 5) Türen und an einzelnen auf den Dächern montierten Solarmodulen (Abb. 6).
  • Wie hoch die Geschwindigkeit dieser Trümmerteile war, wird anhand der in Abb. 7 und Abb. 8 erkennbaren, tief in der Vorhangfassade steckenden Dachziegel ersichtlich.
  • Durch ihre Lage sind auch Schornsteinköpfe besonders exponiert. Einige frei stehende Schornsteine wurden infolge der hohen horizontalen Windbelastung stärker geschädigt (Abb. 9) bzw. zerstört (Abb. 10)
  • An der in den letzten Jahren umfangreich sanierten Stiftskirche von Bützow wurden große Teile der neuen Dacheindeckung abgelöst, die aus Denkmalschutzgründen nicht vernagelt wurde (Abb. 11). Am Kirchturm entstanden durch die extreme Belastung diagonale Schubrisse (Abb. 12).
  • Strukturelle Schäden an Dachstühlen reichten von beschädigten Dachlattungen, über Zerstörungen an tragenden Konstruktionsteilen, wie Sparren (Abb. 13 und Abb. 14) und Kehlbalken bis zu komplett abgelösten Dachkonstruktionen (Abb. 15), was auch den Einsturz von angrenzenden Wänden zur Folge haben konnte (Abb. 16).
  • Einige Schadensfälle, bei denen die Außenwände durch den auftretenden Windsog einstürzten, ließen sich auf die unzureichende Verankerung an der Dachkonstruktion (Abb. 17) bzw. der Ausfachung (Abb. 18) zurückführen
  • Abb. 19 zeigt einen Schadensfall, bei dem die Wand offenbar, durch den Anprall von herumfliegenden Teilen einer abgelösten Dachkonstruktion eingedrückt wurde.
  • Derartige Anprallschäden können auch zum Kollaps des gesamten Bauwerks führen, wie der zerstörte Garagen komplex in Abb. 20 zeigt, den das abgelöste Dach des Gebäudes in Abb. 16 getroffen hat.
  • Die Ursache für den Schaden im Bereich der Fenster an dem älteren Gebäude in Abb. 21 lässt sich im Zustand und den geringen Wandstärken des zweischaligen Hohlmauerwerks finden.
  • Einige Fertigteilbauten (Leichtkonstruktionen) wurden aufgrund der mangelnden Widerstandsfähigkeit der Gesamtkonstruktion (hohe Verletzbarkeit) schwer geschädigt bzw. vollständig zerstört (Abb. 22), so dass hier die Ausbildung der Dachkonstruktion für den Schaden offenbar sekundär ist.

Generell zeigt sich aber den Unterschieden in der Anzahl der vorgefundenen strukturellen Schäden, dass die Verletzbarkeit eines Gebäudes gegenüber einer Starkwindeinwirkung primär von der Dachkonstruktion bestimmt wird und erst nachfolgend von der Wandbauweise.

Entlang der gesamten Zugbahn des Tornados ließen sich weitere phänomenologische Effekte beobachten die in der Fujita- [5] und der TORRO-Skala [3] beschrieben sind. So wird in [4] von einem umgeworfenen PKW berichtet, der laut Augenzeugen meterweit verfrachtet wurde.
Im gesamten betroffenen Gebiet in Bützow ließen sich starke Schäden an der Vegetation beobachten. Neben entwurzelten Bäumen (Abb. 23) ließ sich auch häufig ein schwerer Windbruch an freistehenden Bäumen beobachten (Abb. 24).
Auch diese Beobachtungen bestätigen die Einstufung der maximalen Intensität des Tornados mit F3/T6 [9].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die in Bützow geschädigte Gebäudsubstanz die typischen Schadensbilder für einen Tornado der Stärke F3 auf der Fujita-Skala [5] bzw. T6 auf der TORRO-Skala [3], [8] aufweisen. Die Bandbreite der Schäden reichte dabei vom einfachen Glasbruch an Fenstern, über großflächig abgelöste Dachziegel, bis zum vollständigen Ablösen der Dachstühle und dem (Teil-)Einsturz von Gebäuden.
Erwartungsgemäß waren insbesondere die Elemente der Dachkonstruktion für strukturelle Schäden exponiert. Das Ablösen von Dachziegeln in unterschiedlichem Umfang war insbesondere bei älteren, unvernagelten Dacheindeckungen zu beobachten.
Vereinzelt wurden aber auch schwere strukturelle Schäden an den Wandkonstruktionen bis hin zum Einsturz des Bauwerks beobachtet. Dies ließ sich dabei entweder auf eine mangelnde Aussteifung bzw. Verankerung der Wände zurückführen oder es handelt sich dabei um Folgeschäden aus dem vollständigen Ablösen der Dachkonstruktion. Insbesondere flachgeneigte Holzdachkonstruktionen zeigen bei mangelnder Wandverankerung eine erhöhte Anfälligkeit für das komplette Ablösen.
Die Erfahrungen aus der Schadensaufnahme in Bützow zeigen, dass nicht alle Schäden vom öffentlichen Verkehrsraum einsehbar sind und dass durch die unmittelbar nach dem Ereignis eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen, einige der durch das Ereignis verursachten Schäden nicht mehr im Originalzustand dokumentiert werden konnten.
Für künftige Schadensdokumentationen ist daher eine schnellere Vor-Ort Präsenz erforderlich. Idealerweise sollte die Schadensdokumentation innerhalb der ersten 24 h erfolgen, wie dies vom WTINFO-Tornado Research Project angestrebt wird [10].
Des Weiteren scheint der zusätzliche Einsatz von Flugdrohnen zur Schadenserfassung aus der Luft sinnvoll. Damit wäre eine schnelle Erstschadensdokumentation möglich, die auch die Schäden an schlecht einsehbaren Bauwerken zeigt. Mit diesen zusätzlichen Informationen kann die detaillierte manuelle Schadensdokumentation ergänzt und qualitativ verbessert werden.

Literatur

[1] Amt Bützow Land und Stadt Bützow: Stadt Bützow, www.buetzow.de, 06.06.2015

[2] COPTERMY - simply inspiring, Rostock: Tornado über Bützow – der Tag danach – Coptermy, Video Drohnenbefliegung, www.coptermy.de, 08.06.2016.

[3] Dotzek, N.; Hubrig, M.; Berz, G. (2005): TORRO- und Fujita-Skala Beschreibungen, ange¬passt für Mitteleuropa, www.tordach.org/pdf/FT_scales.pdf, 30.06.2015

[4] Frankfurter Allgemeine (05.05.2015): Unwetter im Norden Tornado fegt über Kleinstadt www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/unwetter-im-norden-tornado-fegt-ueber-kleinstadt-13576772.html, 08.06.2016

[5] Fujita, T. T. (1971): Proposed characterization of tornadoes and hurricanes by area and intensity. Chicago: University of Chicago.

[6] Haeseler, S., Lefebvre, C., Friedrich, A. (2015): Unwetter mit Tornados richten am 5. Mai 2015 schwere Schäden in Norddeutschland an, Deutscher Wetterdienst, www.dwd.de/DE/presse/hintergrundberichte/2015/Unwetter_Tornado_Norddeutschland_PDF.pdf?__blob=publicationFile&v=2, 08.06.2016

[7] Maiwald H., Schwarz, J. (2016): Der Tornado von Bützow in Mecklenburg-Vorpommern - Ingenieuranalyse der Gebäudeschäden, Bautechnik 93, 4, 254-264. doi.org/10.1002/bate.201500092

[8] Meaden, G. T.: (1976): Tornadoes in Britain: Their intensities and distribution in space and time. J. Meteor., 1, 242-251.

[9] Tornadoliste von Thomas Sävert: www.tornadoliste.de, Mai 2016

[10] WTINFO Tornado Research Project: www.wtinfo.eu/de/, 08.06.2016

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